Der Wolf kehrt zurück nach Deutschland - und mit ihm alte Ängste und Vorurteile. Werden Wölfe zur Gefahr für Nutztiere? Werden sie die Wildbestände dezimieren? Werden sie vielleicht gar für den Menschen gefährlich? Mit solchen Fragen beschäftigten sich die 23. Wildbiologischen Woche, die vom Umweltzentrum Fulda in Zusammenarbeit mit dem Forstamt Hofbieber veranstaltet wurden. Hier zeigten Experten ein durchaus anderes Bild als das des großen bösen Wolfes.
Weltweit gibt es circa 170.00 Wölfe, davon in Europa etwa 14.000. Seit dem Jahr 2000 zieht es sie auch wieder nach Deutschland. Den Anfang machten polnische Wölfe in der Lausitz. In Deutschland
leben heute 36 Rudel und sieben Wolfspaare. Auch in Hessen wurden schon einige durchziehende Wölfe gesichtet oder tot aufgefunden. Fünf Jahre lebte ein Wolf im Reinhardswald bei Kassel. Anfang
März nahm eine Fotofalle im nordhessischen Söhrewald einen Wolf auf. Am 6. Mai wurde ein Tier bei Marburg überfahren. Der vor 150 Jahren vom Menschen in Deutschland ausgerottete Wolf kehrt
langsam aber sicher zurück.
2012 gab es im Forstamt Hofbieber und im Forstamt Bad Hersfeld erste Wolfssichtungen. Im letzten Jahr hielt sich ein Wolf monatelang im Bereich des Forstamtes Hofbieber auf.
Von einem solchen „Jährling“, also einem Wolf im Alter zwischen einem und zwei Jahren, geht nach Angaben von Bernd Mordziol-Stelzer vom Forstamt Hofbieber keine Gefahr aus, auch wenn sich
Jungtiere häufig neugieriger verhalten als ausgewachsene Exemplare. „Agressionsverhalten mit gefletschten Zähnen ist lediglich aus Wildgehegen bekannt, wo sich die territorialen,
geschlechtsreifen Tiere nicht aus dem Weg gehen können.“ Für den Menschen seien die scheuen Tiere allerdings in der Regel ungefährlich. Falls man tatsächlich einem begegnen sollte, rät er, ruhig
zu bleiben, sich langsam zurückzuziehen und die Beobachtung den Forstämtern oder Naturschutzbehörden zu melden.
Begegnungen zwischen Hund und Wolf könnten jedoch tödlich ausgehen. Wölfe sehen Hunde als Eindringlinge in ihr Revier oder als Beute. Und Hunde verfolgen bevorzugt die Fährten von Wölfen. Während
Wölfe Hunden eher aus dem Weg gehen, geht Interesse durchaus von Seiten vieler Hunde aus. „Hunde sind in einer Auseinandersetzung den Wölfen unterlegen. Sie töten als erfahrene Jäger mit einem
effektiven Kehlbiss“, erläutert Bernd Mordziol-Stelzer. Er rät Waldspaziergängern, ihre Hunde anzuleinen, wie sie es eigentlich auch schon ohne Wölfe tun sollten.
Auch ein anderes Bild kennen wir: In einem Wolfsrudel gäbe es stets harte Machtkämpfe und Rivalitäten um die Position des Alpha-Tieres. Doch das Bild ist falsch: In der Natur besteht ein
Wolfsrudel zumeist aus zwei erwachsenen Tieren und ihren Kindern, meist sechs bis acht Welpen und zwei bis vier Jährlinge. Die Elterntiere sind die natürlichen Autoritäten. Eine
Auseinandersetzung tritt meist nur bei der Verteidigung des Reviers auf, wenn fremde Artgenossen eindringen - und wenn mehrere erwachsene Tiere zusammen eingesperrt sind.
Die Wölfe haben viel mehr einen starken Familiensinn: Die Welpen bleiben relativ lange im Rudel, länger als bei den meisten anderen Tierarten. Innerhalb der Rudel kümmern sich die Jährlinge quasi
als Babysitter um die kleineren Geschwister und spielen mit ihnen. Und sie versuchen, ihren Eltern zu gefallen. Dieses Verhalten ist ein wichtiger Faktor, warum sich der Urahn der Hunde so gut
als Begleiter für den Menschen anbot und schließlich zum „besten Freund des Menschen“ wurde.
„In freier Wildbahn bekommen die meisten Menschen einen Wolf selbst in der Lausitz fast nie zu sehen“, erklärt Sebastian Körner. Er begleitet für das Sächsische Umweltministerium im
Wildbiologischen Büro LUPUS die Rückkehr der Tiere wissenschaftlich und dreht Filmdokumentationen über die Wölfe in der Lausitz. Dafür wartet er oft stundenlang versteckt, zum Beispiel auf
Truppenübungsplätzen an Waldlichtungen, um einen vor die Kamera zu bekommen.
Seine Filmaufnahmen zeigen, dass Wölfe keneswegs aggressiv sind, sondern den Menschen und andere Tiere einschätzen können. So wagen sie sich nicht an erwachsene Hirsche oder Wildschweine heran,
sondern lassen sie neben sich passieren. Und sie stehen nicht mit dem Menschen in Konkurrenz. Sie nutzen die Kulturlandschaft, beispielsweise angelegte Wege.
Der Wolf hat tatsächlich viel Hunger - etwa drei Kilogramm frisst ein erwachsenes Exemplar am Tag. Er kann sogar bis zu elf Kilogramm Fleisch für seine Welpen im Magen transportieren. Seine
Nahrung besteht zu über 95 Prozent aus Huftieren. 94 Prozent machen Rehe, Hirsche und Wildschweine aus. Der Wolf ist also durchaus gefräßig - doch könnte er auch ganze Tierarten gefährden?
„Nein, denn die Reviergröße eines Wolfsrudels ist so gewählt, dass eine Kleinfamilie von Wölfen sich daraus gut ernähren kann. Im Tierreich bestimmt das Vorhandensein der Beutetiere die Anzahl
der Beutegreifer und nicht umgekehrt“, erläutert Mordziol-Stelzer. Michael Röth von der NABU-Landesarbeitsgruppe Wolf rechnet vor: „Würden überall in Deutschland Rudel leben, würden sie etwa
200.000 Rehe fressen. Im Vergleich dazu erschießen deutsche Jäger im Jahr 1,2 Millionen Rehe“. Auch ein anderer Vergleich macht die Dimensionen deutlich: Im Landkreis Fulda würde eine zehnköpfige
Wolfsfamilie weniger Rehe benötigen, als jährlich auf den Straßen überfahren werden (knapp 700).
Etwa 0,8 Prozent der vom Wolf in Sachsen gefressenen Tiere sind Nutztiere. Er kann nicht unterscheiden zwischen Nutz- und Wildtieren und welche er fressen darf.
Schutz bietet aber schon ein 90 Zentimeter hoher elektrischer Zaun. Eine andere Möglichkeit sind Herdenschutzhunde. Durch solche Präventionsmaßnahmen kann das Risiko minimiert werden - auch wenn
es nie hundertprozentige Sicherheit gibt. Kommt es einmal zu einem Vorfall mit Weidetieren, muss zeitnah ein Nachweis erbracht werden. Außerdem halten das Regierungspräsidium und der NABU derzeit
sechs spezielle Schutzzäune parat, die im Bedarfsfall ausgeliehen werden können. Volker Strauch, Geschäftsführer des Umweltzentrums Fulda, möchte den Wolf „entmystifizieren“ und zugleich dafür
werben, sich auf die neue Situation einzustellen: „Auch wenn es in Hessen noch keinen Entschädigungsregeln wie in Sachsen gibt, wird an Lösungen für durch den Wolf betroffene Nutztierhalter
gearbeitet.“
Ob wir es wollen oder nicht: Der Wolf kehrt zurück, und wir müssen uns auf ihn
einstellen.
Markus Weber
erscheint in der printzip-Ausgabe Juni 2016, erhältlich ab 27.05.2016
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