Zwei-Klassen-Medizin

Unterschied Privat- und Kassenpatienten: Ärzte in Fulda Rekordhalter

 

Kassenpatient*innen müssen im Schnitt 27 Tage länger auf einen Arzttermin warten als Privatversicherte. In Fulda ist der Unterschied besonders drastisch, wie eine Untersuchung belegt: 41 Tage warten sie dort im Durchschnitt länger. Für Ärzte gibt es einen starken Anreiz, privat Versicherte zu bevorzugen, da sie bei Privatpatient*innen häufig schlicht mehr Geld bekommen. Die Dringlichkeit einer medizinischen Behandlung und Gesundheit stehen so gegebenenfalls im Gegensatz zum Gewinndenken.

Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche (Grüne) haben bei 370 Fachärzten in Hessen um einen Termin gebeten - einmal als Kassen- und einmal als Privatpatient*innen. Das Ergebnis: Gesetzlich Versicherte bekommen einen Termin im Schnitt nach 38 Tagen, Privatversicherte warten 11 Tage. Nur bei 20 bis 30 Prozent der Praxen gab es keine unterschiedliche Behandlung. 2013 betrug die Differenz 20 Tage. In Fulda warten Kassenpatient*innen 56 Tage, 41 Tage länger als Privatpatient*innen. Die Fuldaer sind damit hessenweit Rekordhalter. Spitzenreiter war ein Hautarzt in Fulda: Einem Kassenpatienten wurde erst nach 224 Tagen ein Termin gegeben, dem Privatversicherten nach 7 Tagen.

 

Als Kassenpatient gar kein Termin


„Dringende Behandlungen und Notfälle leiden in Deutschland nicht unter Wartezeiten“, so Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, Präsident der Landesärztekammer Hessen. „Einen generellen Anspruch auf einen sofortigen Arzttermin gibt es nicht, Notfälle ausgenommen.“
Doch wie sieht es in Fällen aus, die nicht eindeutig als Notfall deklariert werden? printzip machte den Test: Bei einem Hautarzt in Fulda bekam ein Kassenpatient einen Termin nach 9 Wochen. Beim zweiten Hautarzt konnte nur ein Termin nach fünf Monaten angeboten werden, was nach Aussage der Sprechstundenhilfe „für Sie wahrscheinlich zu spät wäre“. Als Privatpatient dagegen wurde dort ein Termin gleich am nächsten Werktag angeboten. Die dritte Hautarztpraxis hatte eine extra Telefonnummer für Kassenpatienten, auf der zu erfahren ist, dass diese zurzeit nicht angenommen werden.

 

Tipps für Patient*innen


Was können Kassenpatient*innen tun, damit sie nicht erst sehr spät oder unter Umständen keinen Facharzttermin erhalten? Daniela Hubloher, Medizinerin in der Patientenberatung bei der Verbraucherzentrale Hessen, rät dazu, erst eine*n Allgemeinmediziner*in aufzusuchen und sich eine Überweisung geben zu lassen. Hat die Überweisung einen Dringlichkeitsvermerk, sollte das, so Daniela Hubloher gegenüber dem printzip, bei der Terminvereinbarung mit dem Facharzt auf jeden Fall betont werden. Ist auch in einem dringenden Fall erst sehr spät oder kein Termin beim Facharzt zu bekommen, empfiehlt es sich, darum zu bitten, direkt mit dem Arzt verbunden zu werden. Es sei laut der Patientenberaterin der Verbraucherzentrale ohnehin fraglich, ob das Sprechstundenpersonal qualifiziert ist abzuschätzen, wie schnell eine Behandlung geboten ist. Auch könne man den Allgemeinmediziner bitten, seinerseits einen Termin beim Facharzt zu vereinbaren. Das erhöhe die Aussicht auf einen (schnelleren) Termin, so Daniela Hubloher. Außerdiem bietet etwa die Hälfte der Krankenkassen Service-Telefone zur Vereinbarung von Terminen an, auch ohne Überweisung und Dringlichkeit.
Für Überweisungen mit Dringlichkeitsvermerk gibt es seit Januar die neue Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen bei (für Augen- und Frauenärzten ist dort keine Überweisung notwendig). Diese teilt innerhalb einer Woche einen Termin bei einem Facharzt innerhalb einer „zumutbaren Entfernung“ zu. Der Termin liegt in den nächsten vier Wochen. Der Nachteil bei den verschiedenen Terminvereinbarungsstellen ist, dass dadurch die freie Arztwahl nicht mehr gegeben ist. Petra Heß von der Unabhängigen Patientenberatung empfiehlt dennoch, diese Stelle zu nutzen. Die Terminservicestelle der KV Hessen ist montags bis donnerstag von 9 bis 16 Uhr und freitags von 9 bis 14 Uhr erreichbar unter 069-4005000-0.

 

Zwei-Klassen-Medizin


Die Terminvereinbarungsstelle für dringende Fälle ist nicht freiwillig, sondern auf Druck des Gesetzgebers enstanden, wie die Kassenärztliche Vereinigung Hessen einräumt. Sie hat eigentlich den gesetzlichen Auftrag, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Laut Sozialverband VdK Hessen-Thüringen wurde das Angebot nicht richtig beworben.
Ein anderes Bespiel für die Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland ist die weltweit einmalige Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung. Dies führt dazu, dass Spitzenverdienende mit steigendem Einkommen prozentual immer weniger für die Krankenversicherung zu zahlen haben, da es einen festen Maximalbetrag gibt.

 

Es gibt Alternativen

 

Eine tatsächliche Änderung in der Gesundheitspolitik müsste der Bundestag beschließen: Eine einheitliche, solidarische Bürgerversicherung für alle, wie sie Grüne, Linke und SPD fordern. Kordula Schulz-Asche führt aus: „Mit der Bürgerversicherung schaffen wir klasse Medizin für alle. Einer der ersten Schritte auf dem Weg zur Bürgerversicherung ist eine gemeinsame Honorarordnung für Ärztinnen und Ärzte, damit es für gleiche Leistungen endlich das gleiche Geld gibt. Ärztinnen und Ärzte haben dann keinen Anreiz mehr, bestimmte Patientinnen und Patienten zu bevorzugen. Entscheidend für die Wartezeiten auf einen Termin bei Fachärzten wird dann allein die medizinische Dringlichkeit sein.“            

 

Markus Weber

erschienen im printzip 7/2016

 

Die Studie als Download (pdf):

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