printzip: Ihr habt im Sommer auf einigen Festivals gespielt. Nun geht ihr auf Tour durch die Clubs. Wo spielt ihr lieber?
Axel Kurth: Wir mögen es eigentlich nicht so gerne, auf Festivals zu spielen, weil dort der Kontakt zu den Leuten und der Energieaustausch nicht so gut funktionieren. Punk gehört
für mich immer in eine dunkle Kiste mit einem Deckel drauf, wo es eng ist. Da gehören blaue Flecken und Pogo und Schweiß dazu. Wenn wir auf den Festivals mehr Zeit haben, versuchen wir auch,
nicht alles mit Musik vollzustopfen, sondern uns Zeit zu lassen, für unsere Ansagen und auch mit den Leuten zu interagieren. Es ist nach wie vor das Allerschönste, das wir uns vorstellen können:
Die Zeit, die wir auf der Bühne sind, mit Menschen vor uns, die Bock auf unsere Musik haben, mit uns die Leidenschaft teilen für den Punk-Rock, den wir seit 30 Jahren abfeiern. Es ist dann auch
völlig wurscht, ob es 200 oder 2000 sind. Auf einem Festival kann ich vor 50.000 Leuten stehen und ich kriege kein richtiges Gefühl dafür.
printzip: Merkt ihr auf der Bühne, dass das Publikum in den Clubs extra für euch kommt im Gegensatz zum Festival-Laufpublikum?
Axel Kurth: Es macht einen Riesenunterschied für uns. Für uns ist eine Club-Tour das Geilste, was wir uns vorstellen können. Wir können uns Bestätigung holen und Bestätigung
geben. Wir haben so viele Leute auf unseren Konzerten, die leben in irgendwelchen Dörfern. Die haben ihr Weltbild und zweifeln an sich selbst, weil um sie herum nur grausame AfD-Vollpfosten
rumhängen. Für die ist es total geil, wenn sie auf unser Konzert kommen und sehen, dass es noch andere Menschen gibt, die genauso ticken wie sie. Und das ist für uns genau das Gleiche. Wir ziehen
durch die Republik und finden überall die gleich verrückten Menschen. Unser Ziel ist, das so lange wie möglich zu machen. Wenn die Leute auf ein WIZO-Konzert kommen, freuen wir uns da wirklich
extrem drauf und kümmern uns darum, dass das eine coole Geschichte für alle Beteiligten wird.
printzip: Wie macht ihr das?
Axel Kurth: Wir sind komplett selbstorganisiert. Wir buchen unsere Konzerte selber, versuchen auf alle Möglichkeiten, die sich uns bieten, Einfluss zu nehmen, damit es keine anonymen
Massenveranstaltungen werden.
printzip: Die Band baut auch die Anlage auf?
Axel Kurth: Klar. Wir sind drei erwachsene Leute, und es gibt nichts Schlimmeres, als gelangweilt Backstage zu sitzen und auf deinen Laptop zu glotzen.
printzip: Wie kommt es eigentlich, dass ihr euch in letzter Zeit ‚Der WIZO‘ nennt?
Axel Kurth: Das war ein Running Gag der letzten Tour. ‚WIZO‘ hat ja per se keinen Artikel, und wenn wir von ‚Die WIZOs‘ redeten, war das immer komisch. Da haben wir irgendwann
angefangen, den ‚WIZO‘ so zu betiteln, als wär das was Eigenes.
printzip: Ihr habt in der Tat viele junge Leute durch eure Musik politisiert. Aber ihr habt in einem Interview einmal gesagt, dass am Ende des Tages die einzige Scheißaufgabe
einer Band ist, Musik zu machen und sonst erst mal gar nix.
Axel Kurth: Ich will gerne Leute politisieren und die Sachen, an die ich glaube und für dich ich gerne kämpfe, an die Menschen herantragen. Aber am Ende des Tages sind wir keine
Politiker und ich bin kein Redenschwinger. Meine Stärke ist es, dreiminütige Punk-Rock-Songs zu machen. Ich habe gelernt, mich in diesem Rahmen zu bewegen. Daher bin ich bei den Texten auch oft
gezwungen, gewisse Themen anzuschneiden und herunter zu schrumpfen auf relativ kurze, von mir aus auch populistische Aussagen. Ich habe nicht die Möglichkeit, mit Fußnoten zu arbeiten und einen
dreiseitigen Erklärungstext zu liefern. Diese Beschränkung nehme ich aber gerne an, weil sie künstlerisch gesehen immer wieder eine richtige Herausforderung ist. Dafür muss ich in Kauf nehmen,
dass manche Leute denken, ich wäre einfacher gestrickt als ich vielleicht bin. Das Beste, was mir passieren kann, ist, wenn wir dazu beigetragen haben, dass sich Leute politisiert haben,
womöglich tiefer eingestiegen sind und vielleicht ihr ganzes Leben anders ausgerichtet haben, weil sie kapiert haben, dass jeder es den Menschen gegenüber schuldig ist, sich anständig
aufzuführen. Dazu gehört, dass man gegen Rassismus ist und für die Gleichberechtigung aller Menschen kämpft.
printzip: Was hat sich für euch in den Jahren eures Bestehens politisch und gesellschaftlich verändert und wie spiegelt sich das in euren Texten wider?
Axel Kurth: Ich denke, die Situation hat sich verschärft. Der große Unterschied zwischen heute und vor 20 Jahren ist die extrem schnelle soziale Medienlandschaft. Die
Möglichkeit, dass sich die größten Vollpfosten irgendwie per Kommentar bemerkbar machen können, dass du zu jeder scheiß Verschwörungstheorie 200 Webseiten findest, die dich darin bekräftigen oder
die Möglichkeit, dass sich Leute mit ihrem bescheuerten geistesgestörten Religionsquatsch weltweit organisieren können. Dazu kommt, dass die Nazis auch dazugelernt haben, sich immer perfider
verhalten, strukturierter und vernetzter sind. Meine tägliche Erfahrung ist, dass viele Menschen zum Beispiel nicht checken, wo Alltagsrassismus beginnt oder dass sie sehr wohl einen Unterschied
machen können im Supermarkt mit ihrem Einkauf. Ich merke aber immer wieder, wie groß die Diskrepanz ist zu dem, was die normalen Menschen überhaupt nicht mehr verstehen können, weil es um sie
herum immer unübersichtlicher wird. Viele reagieren mit Furcht und Angst. Das führt zu bescheuerten Wahlergebnissen. Das sind Dinge, die waren früher in der Form nicht möglich, weil es andere
Informationsstrukturen gab. Früher musstest du in eine Bücherei, um etwas nachzuschlagen. Allein auf dem Weg dahin hättest du Zeit gehabt, um nachzudenken. Heute haben die Leute die Zeit nicht
mehr, sondern haben in der Zwischenzeit schon wieder irgendeinen blöden Kommentar abgelassen.
printzip: Glaubt ihr, auch diese Leute überzeugen zu können?
Axel Kurth: Wir befinden uns in einer Subkultur. Wir machen diese Art von Musik, für die man sich entscheiden muss. Es ist von uns eine ganz bewusste Entscheidung, nicht im
Mainstream vorzukommen. Ich könnte keine Texte schreiben, in denen ich nicht zornig bin und ‚Scheiße‘ sage. Deshalb ist mein Einfluss auf irgendwelche wackeligen Jugendlichen, die vielleicht
irgendwelchen rechten Rattenfängern auf den Leim gehen würden, beschränkt. Unsere Aufgabe ist es eher, den Menschen Mut zu machen, die schon auf unserer Seite sind und denen ein Ventil zu
liefern, ihren täglichen Frust einmal rauszuschreien. Ich denke oft, wenn ich ein schönes Lied mit einer guten Melodie schreiben möchte, an diese Situation: Du sitzt in einer S-Bahn und neben dir
sitzt eine Horde Vollpfosten-Fußball-Fans, die rassistische Parolen grölen. Du könntest dein Maul aufmachen, aber dann würdest du von denen gekreuzigt. Also lässt du es bleiben, sitzt nur da und
hasst die Typen und hast hoffentlich eine schöne Melodie vom WIZO im Kopf, die du die ganze Zeit vor dich her summst. Da hoffe ich immer drauf, dass das den Leuten ein bisschen Kraft und Ausdauer
verleiht.
printzip: Auf eurem neuen Album singt ihr ‚Und wenn du auch gegen Nazis bist, dann gehörst du mit dazu. Darum stimm mit ein, sag es laut und klar: Wir sind alle Antifa‘. Sind für
euch alle, die sich gegen Nazis einsetzen ‚Antifa‘?
Axel Kurth: Mich hat es gestört, dass Leute begonnen haben, die Antifa als etwas Schlechtes und pseudo Strukturiertes abzuqualifizieren. Mir war es wichtig, dass sich Menschen
nicht abschrecken lassen. Sie sollen wissen, dass es nicht die Antifa gibt, das ist eine absolut nicht homogene Masse. Wir lassen uns dieses Wort, wenn es auch nur der gemeinsame Nenner von uns
ist, nicht wegnehmen und nicht madig machen, sondern holen uns die Deutungshoheit zurück. Wir sind alle Antifa. Jeder, der keinen Bock auf die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund
irgendwelcher obskuren Merkmale hat, ist meiner Meinung nach ein Antifaschist. Es ist wichtig, dass man das sagen kann, ohne dass man die Stimme senken muss. Das würde im Umkehrschluss nur zur
Stärkung der braunen Pfosten führen.
printzip: Zählt ihr auch Menschen dazu, die nicht eure Positionen teilen?
Axel Kurth: Wenn du keinen Bock auf Nazis hast, gehörst du auch dazu. Das heißt auch im Umkehrschluss, du musst nicht auf der Straße im schwarzen Block stehen. Wenn das
dein Weg ist, dann will ich dir das nicht absprechen.
printzip: Im Kreis Hersfeld-Rotenburg gibt es zum Beispiel das Bündnis ‚bunt statt braun‘, das sehr vielfältig ist, zu dem auch eher bürgerliche Mitglieder gehören.
Axel Kurth: Das ist doch wunderbar. Offen, aufrichtig und ehrlich für seine Ziele aufzustehen ist schwer genug. Es geht uns darum, gegen diesen Virus zu kämpfen, der aufgrund von
Furcht und Unbildung und mangelnder Geliebtheit in Leuten aufkeimt. Ich möchte nicht an das Schlechte im Menschen glauben. Ich möchte daran glauben, dass jeder Mensch cool sein könnte, wenn man
ihn liebhaben würde und wenn er eine ordentliche Bildung hätte.
printzip: Gibt es unter euren Liedern solche, die noch aktuell oder vielleicht zu aktuell sind oder auch solche, die heute nicht mehr passend sind?
Axel Kurth: Eher das Erstere. 1993 haben wir ‚Das Goldene Stück Scheiße‘ geschrieben. Damals hatten wir noch den Papst Wojtyla, der eine erzkonservative und menschenfeindliche
kirchliche Politik vertreten hat. In der Zwischenzeit gab es den obskuren Benedikt und mittlerweile den vermeintlich coolen Franziskus. Es war für uns in Ordnung, wenn wir ein Lied singen, wenn
das alles gar nicht mehr aktuell ist. Das ist ein schönes Stück textliche Zeitgeschichte. Aber umso schlimmer ist es für uns, dass die erste Strophe, die wir damals geschrieben hatten, weil
Anfang der 90er Vollidioten in Rostock-Lichtenhagen Heime, in denen geflüchtete Menschen waren, angezündet haben, so unfassbar aktuell ist und von diesem und letzten Jahr hätten stammen können.
Das ist eine Aktualität, auf die könnten wir wirklich gerne verzichten, weil das bedeutet, dass sich die Umstände keinen Deut verbessert, sondern eher verschlechtert haben. Wir haben auch auf dem
aktuellen Album den Song ‚ Déja vu‘, den ich schon 1999 schrieb, und auch da ist der Text schmerzhaft aktuell.
printzip: Beim neuen Album seid ihr musikalisch gesehen eher beim Altbewährten geblieben?
Axel Kurth: Das Altbewährte beim WIZO ist, dass wir schon immer die Grenzen gespreizt haben, uns immer zwischen Schlager und Hardcore und Metal hin und her bewegten. Speziell
beim Album ‚Der‘ lag aber eine Grundstimmung obendrüber. Das war die Wut über diese vermeintliche Normalität, die wir im Jahr 2015 in Deutschland erreicht hatten, in den sozialen Netzwerken und
in der Medienlandschaft im Allgemeinen. Wie die Auseinandersetzung mit Themen ablief, die eigentlich unfassbar empörenswert sind und wie unerträglich diese ganze Gleichgültigkeit der Menschen,
der Journalisten und Politiker war. Das hat ein bisschen auf das Musikalische abgefärbt.
printzip: Und in Zukunft?
Axel Kurth: Wir haben jetzt mit dem neuen Schlagzeuger sehr viele musikalische Inspirationen. Wir haben Bock, da auch zu experimentieren und da kann es in alle möglichen
Richtungen gehen. Wir machen ja per se eine sehr altertümliche Musik. Das ist Rebellenmusik von vor 40 Jahren, auf die wir uns immer wieder beziehen. Für uns hat die noch lange nicht ausgedient.
Interview: Markus Weber
erschienen im printzip, Ausgabe 11/2016
Hulk Räckorz | 2016 | 13 Songs | 39 Minuten
Album online kaufen: wizo.punk.de
Tourdaten: wizo.de
Facebook: facebook.com/wizo.punk
Kommentar schreiben