Weithin sichtbar sind die Bad Hersfelder Amazon-Logistikzentren. Weit bekannt sind sie auch, nicht zuletzt durch Reportagen über die Arbeitsbedingungen beim Pakete-Zusammenstellen und Packen in
der Vorweihnachtszeit. Immer wieder rufen die Gewerkschaften zum Streik auf. Im Lieblingsbuchladen um die Ecke ist auch niemand gut auf den Konzern zu sprechen, denn er hat viele Buchhandlungen
auf dem Gewissen und schafft sich Vorteile durch Steuertricks, die der Gesellschaft und den Wettbewerbern schaden. Und Datenschützer schütteln die Köpfe darüber, wie viel Wissen der Online-Riese
über seine Kund*innen anhäuft und auswertet.
Aber jetzt diskutieren auch Bäuerinnen und Bauern, der Frankfurter Ernährungsrat und Umweltaktive über das neueste Projekt Amazons. In Bad Hersfeld rufen sie am Dienstag, 5. Dezember, in
Weihnachtsmannkostümen zur Aktion „Weihnachten ohne Amazon“ und zum Unterschreiben auf: Sie wollen „Amazon fresh“ schon in der Startphase stoppen.
Über diese neue Sparte Amazons kommen frische Lebensmittel direkt in die Haushalte – seit einem halben Jahr und bisher nur in Berlin, Potsdam, Hamburg und München. Vollmundig kündigte Konzernchef
Jeff Bezos an, die Kühlschränke erobern zu wollen und das Einkaufen zu revolutionieren.
In den USA hat Amazon gerade eine große Bio-Lebensmittelkette übernommen. 13,7 Milliarden Dollar kostete „Whole Foods“ mit 440 Filialen in den USA. Innerhalb kürzester Zeit senkte Amazon die
Preise in den Läden um 40 Prozent - das ist so viel, dass die Zulieferer um ihre Zukunft bangen müssen.
Amazon wendet sich mit seinem Frische-Angebot in Deutschland zunächst an zahlungskräftige Kund*innen. Wer dabei sein will, muss sowohl gebührenpflichtig Amazon Prime Kund*in sein als auch einen
zusätzlichen Amazon fresh-Monatsbeitrag zahlen. Dafür wirbt der Konzern mit der größten Produktvielfalt des Lebenmittelhandels. Er hat Kooperationsverträge unter anderem mit den bisher regional
orientierten Ketten Tegut und Feneberg als auch der Biokette Basic sowie konventionellen Händlern geschlossen. Einer der ersten Effekte: Essens-Retter aus Berlin berichteten, dass bei Basic seit
dem Einstieg in das Amazon fresh-Konzept massiv mehr Lebensmittel weggeworfen werden.
Amazon hat die ausgefeilteste Online-Bestell-Software und Logistik und ist Meister der Kundenbindung. Bisher zeigen Erfahrungen aus anderen Branchen, wie es kleineren Partnern des Konzerns
ergeht. Amazon macht sie austauschbar, konkurriert mit billigeren Produkten und mit Hilfe von Algorithmen zur Preisbildung und schraubte die Anforderungen stark in die Höhe. Amazon ist nämlich
nicht nur ein mächtiges Handelsunternehmen, sondern auch Bereitsteller der Infastruktur, Betreiber virtueller Marktplätze.
Das ist kein gutes Zeichen für alle, die sich gute Perspektiven für regionale, möglichst biologische und möglichst saisonale Lebensmittel wünschen. Denn das Internet spielt eine wichtige Rolle
für moderne Direktvermarktungs-Strukturen. Die regionalen Biokisten nehmen Bestellungen über das Netz entgegen. Die „Marktschwärmer“ bringen hungrige Städter*innen und die aktuellen Angebote der
Höfe in der Umgebung zusammen. Lokale Online-Marktplätze versuchen, die Innenstädte und regionale Erzeuger sowie Dienstleister zu stärken.
Die Kampagne „Essen ohne Amazon“ befürchtet, dass sie alle unter Druck geraten könnten, wenn Amazons Marktmacht sich bei Lebensmitteln wirklich entfaltet.
Die Kampagne „Essen ohne Amazon“ ruft nun zur Auseinandersetzung mit dem Onlineriesen auf: Sie kombiniert die Anstiftung zum eigenen konzernfreien Einkauf mit Forderungen an die Politik. Die
Konzernmacht im Lebensmitteleinzelhandel und die der größten Internet-Konzerne muss beschränkt, regionale Direktvermarktung weiterentwickelt und dabei gefördert werden. Mit Aufklebern und
Aktionen begleitet wird die Aktion „Weihnachten ohne Amazon“, folgen sollen Vorstellungen für die echten Alternativen bei der Lebensmittelbeschaffung auf Augenhöhe mit Bäuerinnen und Bauern. Mehr
unter:
Bundeskartellamt warnt: Amazon gefährdet Innenstädte
Im Sommer 2017 warnte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, vor dem Aussterben der Innenstädte und forderte eine neue Regulierung für Online-Riesen wie Amazon ein. Denn Amazon hat mit
zahlreichen Herstellern folgenreiche Vereinbarungen getroffen: lokalen Geschäften verbieten sie, ihre Produkte auch online zugänglich zu machen. Amazon aber verkauft diese Produkte durchaus über
seine Plattform. Somit nimmt der Konzern Ladengeschäften die Chance, sich attraktiv im Netz zu präsentieren und Menschen in der eigenen Stadt den Weg in die Fußgängerzone schmackhaft zu machen.
Die Geschäfte, die ihre Ladenlokale teuer mieten und gut geschultes Personal bezahlen müssen, können so nicht überleben.
Steuertricks
Amazon gehört zu den Unternehmen, die die Steuervermeidung meisterhaft beherrschen.
Obwohl der Versandriese in seinen deutschen Logistikzentren mittlerweile mehr als 12.000 Mitarbeiter*innen beschäftigt, gelingt es dem hiesigen Steuerrecht noch immer nicht, die
Auslieferungslager in Deutschland als Betriebsstätten zu definieren und eindeutig der Steuerpflicht zu unterwerfen.1 Im Mai 2015 kündigte Amazon an, seine Käufe ab sofort nicht mehr in
Luxemburg, sondern erstmalig in Deutschland zu versteuern.2 Dieses neue Steuermodell wird Deutschland dennoch keine großen Steuereinnahmen bringen, da der Konzern nach wie vor mit
einem komplizieten System aus (eigenen) Logistik- und Dienstleistungsunternehmen Gewinne verrechnen und fast nach eigenem Gutdünken versteuern kann. Amazons Konzernchef Jeff Bezos investiert den
Großteil des Gewinns in Expansion. Im Jahr 2016 zahlte der Onlineriese nur 16,5 Millionen Euro Steuern.3 Das entsprach in keiner Weise den Umsätzen von 21,6 Milliarden Euro (also
21.600 Millionen!) in Europa.
Städten, Gemeinden und Kommunen tut das doppelt weh: Ihnen entgehen Steuern, die der Online-Riese eigentlich zahlen müsste, und sie verlieren Einnahmen durch den Ruin kleiner Händler, die bisher
brav Umsatzsteuer zahlten und Arbeitsplätze in der Region erhielten.4
1 Handelsblatt vom 8.9.2017, www.handelsblatt.com/politik/international/steuervermeidung-der-fiskus-im-digitalen-zeitalter/20302648.html
2 www.zeit.de „Amazon zahlt jetzt in Deutschlang Steuern“, 24.5.2015; 12:31 Uhr, www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2015-05/amazon-deutschland-steuer
3 www.diepresse.com „Amazon zahlt in Europa Steuern im Promille-Bereich“, 17.8.2017; 08:21 h, diepresse.com/home/wirtschaft/unternehmen/
5269962/Amazon-zahlt-in-Europa-Steuern-im-PromilleBereich
4 LSR (2016): Amazon's Stranglehold: How the Company's Tightening Grip Is Stifling Competition, Eording Jobs, and Threatening Communities, Seite 53ff, ilsr.org/wp-content/uploads/2016/11/ILSR_AmazonReport_final.pdf
Datensammelwut: Dein gläserner Kühlschrank
„Wer diese Paprika gekauft hat, kaufte auch diesen Sellerie.“ Amazon bietet schon lange Kund*innen weitere „ähnliche“ Produkte an und kann aus Nutzungs-Statistiken ablesen, welche Produkte zu
einem bestimmten Bestellprofil passen. Darüber hinaus wertet Amazon nonstop sämtliche andere Informationen über seine Kundschaft aus. Amazon erstellt ohne Einverständnis und Wissen Profile seiner
Kund*innen, bei denen Daten aus verschiedensten Bereichen miteinander kombiniert werden um ein möglichst umfassendes Bild zu erstellen. Diese werden ausgewertet und weiter genutzt.
Was Kund*innen der Bestellsoftware „Alexa“ anvertrauen, wird in Form von Audiodateien „in die Cloud" geschickt. Laut Amazon können das auch Server im Ausland sein.
Jutta Sundermann
Gastautorin Jutta Sundermann aus Verden an der Aller ist bei der Aktion-Agrar zuständig für Kampagnen, Presse & Finanzen. Sie ist Bewegungsarbeiterin und Mitbegründerin des globalisierungskritischen Netzwerks Attac in Deutschland. Erfahrungen sammelte sie in der Kampagnenarbeit gegen Gentechnik und Biopiraterie, Nahrungsmittelspekulation, sowie zu Banken und Konzernsteuern.
erschienen im printzip, Ausgabe Dezember 2017