Ein einziger Schauspieler steht in einem kleinen Raum in einem Museum auf einer spärlichen Bühne – wird das nicht langweilig? Nein, die gut 60 Minuten, die „NIPPLEJESUS“ dauert, vergehen wie im Flug. Das liegt vor allem an dem unterhaltsamen Stück und an Schauspieler Andrés Mendez.
Die Bad Hersfelder Festspiele nutzen erstmals die Kapelle im Museum für eine Aufführung. Um zu dieser zu gelangen, müssen die Besucher durch den Kapitalsaal des Museums im Stift (dem direkt an die Stiftsruine anschließenden Gebäude), eine kleine Wendeltreppe hinauf und dann durch die Ausstellung im Dachgeschoss, um dem Raum zu gelangen. Etwa 40 Zuschauer haben dort Platz. Herein kommt Andrés Mendez als Museumswärter Dave – und die Aufführung beginnt.
Dave hat den Job als Wächter in einer Kunstgalerie erst seit kurzem. Bekommen hat er ihn nicht, weil er etwa ein großer Kunstkenner wäre, sondern, weil er vorher Türsteher vor einem Nachtclub war und groß, glatzköpfig und tätowiert ist. Seine Aufgabe besteht darin, ein einziges Kunstwerk zu bewachen: ein Bildnis eines gekreuzigten Jesus. Erst wenn man nahe heran geht, entdeckt man, dass er aus Millionen ausgeschnittenen Bildern von Frauenbrüsten gefertigt ist – und so heißt das Kunstwerk konsequenterweise NIPPLEJESUS. Zwar steht es in einem eigenen, mit einem Vorhang getrennten Raum mit einem Warnhinweis, doch regen sich schon nach kurzer Zeit öffentliche Proteste gegen das Bild. Nachdem Dave die Künstlerin kennenlernt - die er erstaunlicherweise nett findet - beginnt er, sich über das Werk Gedanken zu machen. Schließlich verteidigt er es immer engagierter gegen Kritik – und sogar gegen tätliche Angriffe.
NIPPLEJESUS ist lustig, aber nicht platt. Besonders treffend wird es etwa, wenn Dave die Kunstwelt betrachtet. Der auf dem Boden gebliebene, ehrlich arbeitende Familienvater hat zunächst Vorurteile gegenüber der abgehobenen Kunstszene. Durch die Begegnung mit einigen Museumsbesuchern wandelt sich sein Bild. Am Ende stellt sich aber andererseits wieder heraus, dass die Künstlerin mit dem Werk etwas ganz anderes, recht Oberflächliches vorhatte – und dass sie sich noch nicht einmal an Dave erinnern kann. Ist sie vielleicht gar nicht so tiefgründig, wie Dave bei seinen Reflexionen über das Kunstwerk angenommen hat, und doch so abgehoben, wie er am Anfang dachte? Sicher nur eine mögliche Interpretationsweise. Trotz nachdenklicher Passagen ist das Stück aber vor allem unterhaltend.
Die Vorlage ist eine Kurzgeschichte (ja, sie heißt wirklich NIPPLEJESUS) von Nick Hornby. Von diesem wurde auch der Roman A Long Way Down geschrieben, der derzeit im Schloss Eichhof aufgeführt wird. Festspiel-Dramaturgin Dr. Bettina Wilts führt bei NIPPLEJESUS zusätzlich Regie. Auf der Bühne steht (neben Andrés Mendez) eine Skulptur aus knallbunten Gießkannen, Fliegenklatschen und Staubwedeln. Stammt sie aus einer modernen Kunstgalerie? Wurde sie von Kindern gebastelt? Beides scheint möglich.
Zugegeben, das Bühnenstück hätte auch als Lesung oder Hörbuch funktioniert. Aber dann hätte man nicht alles vom tollen Schauspiel des einzigen Darstellers mitbekommen. Auch wenn beispielsweise NIPPLEJESUS selbst nicht zu sehen ist, kann man sich das Bild durch seine Beschreibungen doch lebhaft vorstellen. Ähnlich, wenn Mendez in der Rolle als Dave andere Personen zitiert oder sie nachmacht.
Die Aufführungsstätte passt nicht nur inhaltlich, sie stellt neben den Darbietungen in der großen Spielstätte der Stiftsruine und neben Schloss Eichhof ein interessantes Zusatzangebot im Repertoire der Festspiele dar und sorgt für einen netten, gemütlichen Abend.
Tickets für die (wenigen) Aufführungen gibt es unter https://www.bad-hersfelder-festspiele.de/spielplan/nipplejesus.html
Text & Fotos: Markus Weber